Hybride Drucksysteme – Zukunft oder Zustand II

Der Ansatz der Hybrid-Systeme mag für viele Etikettendrucker aufgrund der bisherigen Vertrautheit mit den konventionellen Produktionsprozessen nahe liegen. Allerdings sollte man sich der zusätzlichen Herausforderungen bei der Wahl eines hybriden Drucksystems bewusst sein:

 

  • Synchronisation der Anforderung der digitalen Elemente (= optimale Eignung für Kleinauflagen) mit denen der konventionellen Elemente(= optimale Eignung für Grossauflagen)

     

  • Integration der unterschiedlichen Workflows sowohl digital als auchkonventionell

     

  • Definition des optimalen Auftragsspektrums (Arbeitspunkt) für das Gesamtsystemund damit dessen optimale Nutzung

     

  • Beherrschung der Komplexität in der Bedienung durch Addition der unterschiedlichen Verfahren mit den jeweils unterschiedlichen Bedienphilosophien

     

  • Technische Integration der beiden Verfahren und deren Optimierung (z. B. durch Automation)

     

  • Richtige Qualifikation der Bediener / Aufgabenprofil

     

  • Berechnung der Herstellkosten für Etiketten, da die Fertigung der Etiketten sowohl digital als auch konventionell möglich ist.

     

    Folgende Grafik zeigt die zeitliche Reihenfolge der Entwicklungsschritte bei den heutigen Drucksystemen zur Selbstklebe-Etikettenherstellung:

     

    Somit handelt es sich bei hybriden Drucksystemen aus Sicht des Autors bisher um einen Zwischenentwicklungsschritt auf dem Weg hin zu einem vollständig integrierten digitalen Converting System. Durch die nachvollziehbare Addition der Verfahren ist die Bedienung eines Hybrid-Systems sehr komplex und das adressierbare Auftragsspektrum für einen profitablen Einsatz eher begrenzt.

     

    Der kleine, aber feine Unterschied bei einem voll integrierten digitalen Converting System besteht darin, dass sich alle konventionellen Veredelungsprozesse in ihren Leistungsdaten den Merkmalen des primären Digitaldrucks angleichen. Da bei den kleineren Auflagen die Produktionsgeschwindigkeit eine untergeordnete Rolle spielt, ist hier vor allem auf Wechsel-Effizienz zwischen den einzelnen Aufträgen zu achten. Bevor eine Integration stattfindet, müssen deshalb bei den konventionellen Verfahren Makulatur, Rüstzeiten und Werkzeugkosten minimiert werden, damit die Nachteile des konventionellen Druckens nicht die Vorteile des Digitaldrucks überwiegen und dadurch das Gesamtsystem ad absurdum führen.

     

    Deshalb sollte beispielsweise das Flexodruckwerk nur für formatlose Anwendungen wie Primern, Lackieren oder nicht digital produzierbare Spezialeffekte eingesetzt werden. Gegenüber einer rotativen ist einer semirotativen Stanze mit Pre-Setting der Vorzug zu geben, genauso wie die Kaltfolienprägung aufgrund der geringeren Werkzeugkosten gegenüber der Heissfolie präferiert werden sollte.

     

    Der zweite wesentliche Aspekt ist eine sinnvolle Integration der unterschiedlichen Verfahren, um eine Bedienbarkeit des an sich komplexen digitalen Converting Systems zu ermöglichen. So ist eine einheitliche Benutzeroberfläche mit durchgängiger Bedienphilosophie genauso zu empfehlen, wie eine durchgängige Überwachung und Steuerung der einzelnen Funktionen. Beispiel hierfür ist ein zentrales Bedienpult mit zentraler Ansteuerung aller UV-  und LED Trockner, mit zentraler Überwachung aller Füllstände oder einem zentralen Cockpit, welches alle wesentlichen Produktionsprozesse des Gesamtsystems überwacht.

    Bild der Gallus Labelfire 340 als Beispiel für ein integriertes digitales Converting System.

     

    Eingangs wurde die unübersichtliche Anbieterlandschaft für schmalbahnige digitale Drucksysteme zur Produktion von Selbstklebe-Etiketten erwähnt. Durch die kürzeren Innovationszyklen wird es immer ein digitales Drucksystem mit temporären Alleinstellungsmerkmalen geben. Als Käufer eines langlebigen Investitionsgutes sollte man neben dem reinen technischen (digitalen) Spezifikationsvergleich des Drucksystems aber noch wesentlich weitreichendere Fragen hinsichtlich des Vertragspartners prüfen. Folgende Leitfragen können bei einer Systemauswahl eine erste Orientierung geben:

     

  • Versteht mein Vertragspartner und Systemlieferant mein Geschäft und dessen kritische Erfolgsfaktoren?Nur wenn fundiertes Anwendungswissen vorhanden ist, wird das Gesamtsystem zukünftig immer weiterentwickelt werden, um zusätzliche Anwendungsfälle effizient lösen zu können. Dies ist eine der zentralen Voraussetzungen dafür, dass das gewählte digitale Drucksystem die eigene Etikettenproduktion wettbewerbsfähiger machen kann.

     

  • Ist mein Vertragspartner leistungsfähig genug, um mich umfassend und über die gesamte Abschreibungsdauer meines digitalen Converting Systems unterstützen zu können?Gerade bei der Erweiterung des eigenen Lösungsangebots um ein digitales Drucksystem ist zu Anfang eine intensive Unterstützung beim Durchlaufen der eigenen Lernkurve notwendig. Ohne eine kritische Grösse des Systemlieferanten ist die kurzfristige Unterstützung im Schulungs- oder Servicefall nicht möglich, was sich mit den von den Print-Buyern oft geforderten Lieferzeiten von 48-72 Stunden nicht vereinbaren lässt.

     

  • Ist die Komplexität des Gesamtsystems durch meinen Vertragspartner beherrschbar? Wie viele unterschiedliche Unter-Lieferanten und damit Systemgrenzen beinhaltet sein digitales Converting System?Um ein Etikett erfolgreich produzieren zu können, müssen die zentralen Komponenten, konventioneller Druck und Veredelung, Digitaldruck, digitale Vorstufe sowie Tinten oder Toner optimal aufeinander abgestimmt sein. Zu viele unterschiedliche Lieferanten (mit eigenen Partikularinteressen) werden im Servicefall die Problemanalyse aufwändig gestalten und die zielgerichtete Optimierung des Gesamtsystems behindern. Auch hat ein reiner Systemintegrator – als einer unter vielen – nur sehr beschränkte Möglichkeiten der Einflussnahme auf seine in der Regel wesentlich leistungsfähigeren Lieferanten, welche im Gegenzug auch mehreren Systemintegratoren gerecht werden müssen

     

  • Basiert die gewählte digitale Drucksystemlösung auch auf einem stimmigen, zukunftsfähigen Geschäftsmodell meines System-Lieferanten?Im Digitalumfeld sind relativ kurze Innovationszyklen die Regel. Die notwendige und kapitalintensive Entwicklungsgeschwindigkeit kann vomSystemlieferanten nur dann aufrechterhalten werden, wenn er selber von den Verbrauchsmaterialen und damit von der Systemnutzung profitiert. Zusätzlich garantiert erst diese Konstellation dem Drucksystemkäufer, dass beide Partner in dieselbe Richtung schauen – d,h. an der intensiven Nutzung und damit hohen Verfügbarkeit des digitalen Drucksystems interessiert sind.

     

    Fazit:

     

  • Weltweit gesehen ist der digitale Selbstklebe-Etikettendruck immer noch eine stark wachsende, profitable Nischenanwendung.

     

  • Will ein Etikettendrucker seinen Kunden über alle Produktlebensphasen eines Etikettssowie bei den zunehmenden Anwendungen von variablen Daten (z. B. Codierungen für die Rückverfolgbarkeit) unterstützen, so muss er sich intensiv mit den existierenden Digitaldruck-Systemen auseinandersetzen.

     

  • Selbst wenn er alle Rahmenbedingungen für den erfolgreichen Einsatz des Digitaldrucks erfüllt, gestaltet sich die Entscheidung für ein digitales Drucksystem aufgrund der unübersichtlichen Anbieterlandschaft als eine besondere Herausforderung.

     

  • Aufgrund der bisherigen Vertrautheit mit den konventionellen Produktionsprozessen der Inline-Fertigung, kann ein hybrides Drucksystem zunächst als sinnvoller Entwicklungsschritt des eigenen Produktions-Portfolios erscheinen.

     

  • Da es sich bei hybriden Systemen aber nur um einen Entwicklungsschritt zum vollständig integrierten Digitaldruck-System handelt, ist dieser Schritt wegen der komplexen System-Herausforderungen besonders kritisch zu prüfen.

     

  • Fällt die Entscheidung zu Gunsten eines Digitaldruck-Systems, ist auch die Leistungsfähigkeit des Vertragspartners zu berücksichtigen, denn diese kann ebenso für den langfristigen Erfolg einer solchen Investition von Bedeutung sein, wie das eigene Geschäftsmodell.

 

 

  

Zum Autor:

Martin Leonhard (51 Jahre) verantwortet als „Business Development Manager Digital“ den Aufbau des Digital-Geschäfts für die Gallus Gruppe. Er ist seit 2007 als Business Development Manager für Gallus tätig und lebt mit seiner Familie in der Nähe von St. Gallen. Davor war er unter anderem acht Jahre bei der Heidelberger Druckmaschinen AG beschäftigt, ein Umstand, der sich äusserst vorteilhaft für die reibungslose Koordination der Aktivitäten rund um die Markteinführung des gemeinsamen Entwicklungsprojektes Gallus Labelfire 340 auswirkt.